Wo auf dieser verflixten Tastatur befindet sich das „ş“? „Es ist unmöglich, diesen Text zu schreiben, ohne die richtige Schreibweise von Kübra Gümüşay“, denke ich mir zunehmend verzweifelt. Aber von vorn. Der Bogen der Themen wird groß, auch wenn mir das gar nicht mehr so vorkommt, denn die inhaltlichen Verbindungen vom einen zum anderen Buch erscheinen mir in der Zwischenzeit völlig logisch. Das war nicht immer so. Was also hat Kübra Gümüşays „Sprache und Sein“ mit „Unsere Welt neu denken“ von Maja Göpel zu tun?
Der Weg von Kübras großartiger Darstellung, wie wir viel zu häufig durch unsere Sprache Menschen auf Kategorien reduzieren, zu Majas glasklarer Analyse über den Zustand der Welt ist kurz. Warum kurz? Meine Hypothesen - vielleicht ist in Deiner Welt alles ja ganz anders - beginnen damit, dass Sprache viel darüber aussagt, mit welcher Haltung Menschen einander begegnen. Was Menschen wann sagen oder auch nicht prägt Lebenswelten, im beruflichen wie im privaten. Mit welcher Sprache Menschen ihren Mitarbeiter*innen, ihren Chef*innen, ihren Mitmenschen begegnen, welche Realitäten sie damit kreieren, schließt Menschen ein und aus, setzt Normen und Abweichungen, definiert was Normal ist und was nicht, was gewohnt ist und was anders. Unbewusst reproduzieren viele von uns jeden Tag Stereotype unserer weißen, privilegierten Mehrheitsgesellschaft. Soweit die Hypothesen. Wenn wir für einen Moment annehmen, dass da etwas dran ist sind wir schnell bei Maja Göpel. Und bei der Frage, was hat die privilegierte Mehrheitsgesellschaft mit der zunehmenden Ungleichheit unserer auf ewiges Wirtschaftswachstum eingerichteten globalen Welt zu tun. Und könnte unsere Lebensweise zulasten der weniger Privilegierten etwas mit der zerstörerischen Wirkung des Wachstums auf Mensch und Natur zu tun haben?
Aber zunächst zurück zu den Gewohnheiten, Abweichungen, zu dem was Normal ist und was nicht. Wollen nicht viele von uns, dass es anders wird mit unserer Welt oder zumindest mit unserer Arbeitswelt? Natürlich! Und wie oft hinterfragen wir dabei wirklich unsere eigenen Muster, unsere Sprache, unsere Vorurteile? Klingt zu provokativ? „Ich doch nicht! Ich bin offen, reflektiert, tolerant!“. Klar. Dachte ich auch, bis ich Tupoka Ogettes Buch „exit RACISM“ gelesen und verstanden habe, dass es eine Illusion ist, rassistische Vorurteile nicht zu reproduzieren. Warum ist das so? Wir agieren von einem Ort aus, den Tupoka „Happyland“ nennt. Dort in unserer liberalen, aufgeklärten Komfortzone haben wir es uns gemütlich gemacht. Hinterfragen uns genau bis zu dem Punkt, an dem es wirklich ungemütlich wird für uns, an dem wir liebgewonnene Gewohnheiten und Muster verlassen, Dinge WIRKLICH anders machen sollen. Vielleicht ist das alles bei Dir aber auch ganz anders.
Frauen, die vieles anders machen in der Arbeitswelt haben Naomi Ryland und Lisa Jaspers in „Starting a Revolution“ zusammengetragen. Sie berichten von mutigen Revolutionärinnen, die mit ihrem Führungsstil konsequent Konventionen brechen, vermeintlich erfolgreiche Managementregeln radikal hinterfragen und nachhaltig neue Verhaltensweisen etablieren. Diese erfolgreichen Frauen zeigen Verletzlichkeit, Humor und beweisen, dass es keine Aggression, keinen Druck braucht um Unternehmen zu gründen und erfolgreich zu führen. Eine der beschriebenen Frauen ist Joana Breidenbach, sie hat mit Bettina Rollow das wegweisende Buch „New Work needs Inner Work“ verfasst. Darin bringen die Autorinnen eine für mich unzweifelhaft entscheidende Erkenntnis auf den Punkt: Leadership fängt bei der Arbeit an mir selbst an. Und diese Arbeit, diese Reise ist eine sehr, sehr lange. Erst wenn ich mir dessen bewusst bin, kann ich meinen eigenen Weg überhaupt finden. Und das wichtigste: Erst dann verstehe ich, zumindest geht es mir so, dass ich mich nicht an ein kaputtes System anpassen muss. Ich kann es verändern. Denn darum geht es aus meiner Sicht. Ich befürworte nicht, Frauen nur dazu zu befähigen, am derzeitigen Wirtschafts- und Arbeitssystem paritätisch teilzuhaben. Das wollen viele ohnehin nicht. Zurecht. Weil das System in seinen Grundstrukturen toxisch ist. Toxisch für die Menschen, für die Natur und für das Leben auf dieser Welt. Und damit sind wir wieder bei Maja Göpel.
Viele der Frauen sprechen in ihren Büchern davon, dass wir es uns gemütlich gemacht haben in unserer liberalen, aufgeklärten Welt in der wir gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung posten, für New Work und selbstverständlich gegen Rassismus sind und heftig Nicken wenn es um die Rettung der Natur und der Artenvielfalt geht. Das wird nicht reichen. Sich selbst auf die Schliche zu kommen in diesen Fragen ist einer der großartigen Effekte dieser Bücher und das ist der Anfang von Veränderung.
Ach ja: das ş (ein s mit Cedille) findet sich versteckt, unter Symbole Einfügen. Ein Symbol? Eigentlich doch sehr passend.
Kübra Gümüşay: Sprache und Sein
Maja Göpel: Unsere Welt neu denken
Tupoka Ogette: exit RACISM
Naomi Ryland, Lisa Jaspers: Starting a Revolution
Joana Breidenbach, Bettina Rollow: New Work needs Inner Work