Was das Nein-Sagen mit den eigenen Bedürfnissen zu tun hat, wieso es gar nicht so leicht ist, diesen auf die Spur zu kommen und aber doch sehr lohnenswert, diesen gut zu folgen. Janina und Lucas haben dies und mehr in einem Schreibgespräch ausgeleuchtet und dabei auch ihre ganz individuellen Perspektiven eingebracht. Dabei erfahrt ihr außerdem, wie mich ein „Nein“ meinem Gegenüber näher bringen kann, dass in jedem „Nein“ auch ein „Ja“ steckt und warum auch hier einmal mehr achtsame Kommunikation helfen kann.
Nein-Sagen und Bedürfnisse
- ein Schreibgespräch -
Lucas: Wann hast Du zuletzt „Nein“ zu etwas gesagt, zu dem Du (fast) genauso gern „Ja“ gesagt hättest und welchem Bedürfnis hast Du damit den Vorrang gegeben?
Janina: Das war vor ein paar Tagen, als ich einer Jobanfrage von Euch Kolleg*innen abgesagt habe, um mein Familiensystem mit zwei kleinen Kindern gut im Blick zu behalten und nicht zu überlasten. Und das war gar nicht einfach, denn in solchen Situationen sind ja meist viele Bedürfnisse mit im Spiel - offensichtliche genauso wie weniger zugängliche, die sich ggf. sogar unbewusst in uns sozialisiert haben und gar nicht originär unsere eigenen sind. Für eine gute Entscheidung braucht es dann diese vielfältigen Facetten in sich selbst gut wahrzunehmen, zu erforschen und in Ausgleich zu bringen – und sich dabei immer besser selbst kennenzulernen. Dann fällt es immer leichter, eine Entscheidung zu treffen, die wirklich mit den ureigenen Bedürfnissen zu tun hat und nicht mit denen anderer. Und dann ist man in gutem Selbstvertrauen mit dem eigenen Schluss – und aus dem „Nein“ wird ein liebevolles „Ja“ zu etwas anderem. Denn das „Nein“ bezieht sich – auf Basis der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg – immer auf eine konkrete Handlungsoption, eine Strategie, um sich ein Bedürfnis zu erfüllen. Man kann dann eine andere, passendere wählen, um seinem Bedürfnis nachzukommen. Im konkreten Fall hieß das: Ich bin ja noch einigermaßen neu bei P1. Da stand dann die Familie auf der einen Seite – und der Wunsch, im Kolleg*innenkreis beitragen zu können, eine Leistung zu erbringen, dazuzugehören und auch Anerkennung zu erfahren auf der anderen. Ich habe mich gegen die Strategie entschieden, den konkreten Job zu machen, und dafür, mir das hinter einem möglichen „Ja” liegende Beitrags- und Wirkungsbedürfnis auf anderem Wege zu erfüllen als dadurch, bei der Familie Zeit abzuknapsen.
Janina: Wie ist das denn bei Dir: Fällt es Dir leicht „Nein“ zu sagen? Wenn ja: Wie machst Du das? Wenn nein: Warum nicht?
Lucas: Nein. Nein-Sagen fällt mir nicht leicht. Das ist teils mit meinen Rollen und Verantwortlichkeiten – also äußeren Rahmenbedingungen – zu begründen. Das habe ich zuletzt erlebt, als ich krank war und mangels Alternativen Aufgaben erledigt habe, zu denen ich lieber „Nein“ gesagt hätte. Da Rahmenbedingungen aber leichter gestalt- und veränderbar sind als innere Glaubenssätze und Verhaltensmuster, möchte ich mich auf Letztere beziehen.
Ich erlebe das Nicht-Nein-Sagen-Können als eher negativ konnotiert. Je nach Präferenz schöpfen Menschen aber auch viel Kraft daraus, wenn sie unterstützen können und häufig „Ja” zu Wünschen und Anträgen Anderer sagen. Auch mir geht es häufig so. Und das zu wissen nimmt schon jede Menge Druck und hilft, die eigenen Bedürfnisse von sozialer Erwünschtheit zu unterscheiden.
Warum die Kenntnis darüber aber nicht reicht, zeigt sich darin, dass die konsequente Ausrichtung an den eigenen Präferenzen bei mangelnder Reflexion zur Übertreibung eines Talents führen kann. Wenn meine Fähigkeit zur Unterstützung dazu führt, unhinterfragt zu Wünschen und Anträgen Anderer „Ja” zu sagen, ist nicht nur die eigene Überlastung vorprogrammiert. Die negative Übertreibung führt auch dazu, dass die Unterstützung nicht mehr als solche wahrgenommen wird – beispielsweise führen zu viele Zusagen zu Fehlern. Ich mache seither gute Erfahrungen, in entscheidenden Situationen innezuhalten und meinem ersten Impuls nicht zu folgen, sondern dieses Bauchgefühl “Fahrstuhl fahren” zu lassen, es in den Kopf zu holen und somit einer sogfältigen Prüfung zu unterziehen und erst dann zu entscheiden.
Lucas: Aber sag mal: Ein „Nein“, wenn alle Sachargumente für ein „Ja“ sprechen und ein solches echt hilfreich für die Situation wäre – ist das nicht egoistisch?
Janina: Mal anders herum gefragt: Ein „Ja“, wenn ich es mit Blick auf meine Ressourcen nicht leisten kann, im argen Widerstand bin, dadurch ernste Schwierigkeiten an anderer Stelle bekomme – wem ist damit geholfen, auf etwas längere Sicht und wenn sich das Muster immer wiederholt? Sachargumente sind ja nur eine Perspektive auf eine Situation, in der eine Bitte an einen formuliert wird. Wir haben uns gerade darüber unterhalten, wie wichtig es ist, die eigenen Bedürfnisse im Blick zu behalten, und die gehen über Sachargumente ja weit hinaus. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und zu setzen (die körperlichen, die geistigen, die emotionalen), um für sich selbst zu sorgen. Denn ohne diese Selbstfürsorge lebe ich regelmäßig über meinen Möglichkeiten, und das endet dann im Burnout, der Depression, der Schlaflosigkeit – oder, oder. Besondere Wichtigkeit bekommt das Nein-Sagen in stressigen Phasen, in denen ein „Ja“ zu allem schlicht nicht möglich ist und es umso nötiger wird, Prioritäten auszuloten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Von daher ist meine Sicht auf die Frage: Nein, das Nein-Sagen ist nicht egoistisch. Bzw. schon, wenn man den Egoismus an der Stelle positiv betrachten kann, weil man gut auf seine Ressourcen achtet und für sich sorgt. Und das ist ja die Grundlage dafür, dass man auch morgen noch kraftvoll da sein kann.
Janina: Jetzt haben wir darüber gesprochen, wie wir das „Nein“ in uns selbst finden und was dem im Weg stehen kann. Wie ist es damit, das „Nein“ dann auch nach außen zu formulieren? Wie kriege ich das so hin, dass es mein Gegenüber gut hören kann?
Lucas: Bei Entscheidungen mit größerer Tragweite halte ich es für hilfreich, bevor ich das „Nein” nach außen formuliere, mein Gegenüber auch in seiner Motivation und seinen Bedürfnissen zu verstehen. Hierbei helfen mir die Klassiker der kommunikativen Kompetenzen: pfiffige Fragen stellen und anschließend empathisch zuhören. So kann ich mein vorab innerlich geklärtes „Nein” durch eine weitere Perspektive beleuchten. Und dann kommt es durchaus vor, dass ich meine Meinung ändere – aus einem (neuen) guten Grund! Und auch wenn ich beim „Nein“ bleibe, gewinne ich: Das Vorgehen birgt die Chance, dass mein „Nein“ einerseits eine höhere Akzeptanz erfährt und andererseits, dass ich mein Gegenüber besser kennenlerne und zukünftig besser weiß, woran er oder sie sich ausrichtet.
Richtig, das war ja gar nicht Deine Frage ;-) Also: Ich möchte meine Entscheidung gerne begründen. Das mag aber nicht für alle so wichtig sein. Mir persönlich ist es wichtig, verstanden zu werden und idealerweise sogar ein gegenseitiges Einverständnis zu erreichen. Es gibt sicher Fälle, da ist eine ausführliche Begründung zu viel des Guten. Hier biete ich sehr deutlich an, auf Rückfrage eine Begründung zu bekommen, wenn gewünscht. So ist die Verantwortung für das Gelingen der Kommunikation wieder da wo sie hingehört: zwischen beiden Kommunikationspartnern.