Interview mit Franziska Fink, systemische Organisationsberaterin, Autorin und Coach (Beratergruppe Neuwaldegg). Die „Päpstin des Purpose“, wie ihre Kunden sie nennen, begleitet internationale Organisationen auf dem Weg zur Purpose Driven Organization. Ihr erfahrt unter anderem, was den meisten Organisationen dabei schwerfällt und was Frösche mit Purpose zu tun haben.
"Liebe Franziska, Purpose Driven Organizations sind in aller Munde. Wie kommt es, dass viele Menschen und Organisationen die aktuelle Zeit als große Umbruchphase erleben und sich zur eigenen Metamorphose aufgerufen fühlen?"
Franziska Fink: "Aus meiner Sicht wirken da mehrere Einflüsse zusammen:
1. Das Zeitalter der globalen Krisen hat begonnen und bringt Organisationen dazu, nach Sicherheit und Orientierung zu suchen, die stabil bleiben, auch wenn vieles ins Rutschen kommt. Ein Purpose – also die Klarheit „Welchen Beitrag leisten wir und welche Wirkung wollen wir damit erzielen“ ist so ein übergeordneter Nordstern, der fix bleibt, während zum Beispiel ein Lockdown oder ein Krieg in Europa, Strategie und Planungsprozesse von heute auf morgen über den Haufen werfen.
2. Organisationen sehen sich der „Wirkungstransparenz“ gegenüber – nicht nur das EBITDA ist messbar, mittlerweile lässt sich auch errechnen, wie viele Umweltkosten ein Unternehmen verursacht. Bei vielen Unternehmen übersteigen diese Umweltkosten das EBITDA - sie produzieren mehr Schaden als Nutzen könnte man verkürzt sagen. Investor*innen und Fonds beziehen diese Berechnungen in ihre Anlageentscheidungen ein, auch für Kund*innen wird es immer leichter, bewusste Kaufentscheidungen danach zu treffen. Wir müssen also beginnen, uns über die Verantwortung von Organisationen für ihre Wirkung zu unterhalten. Purpose stellt die Frage danach: Was ist unser Beitrag zum Gemeinwohl?
3. Organisationen, die sich steigender Komplexität gegenübersehen (= hohe Vielfalt der Erwartungen von Stakeholdern und hohe Volatilität der Umfeldbedingungen), müssen ihre Steuerung anpassen. Sie setzen auf verteilte Verantwortung und agile Organisation. Purpose übernimmt hier die übergeordnete Steuerung. Er ist der Korridor, an dem alle Entscheidungen ausgerichtet werden."
"Du schreibst in Deinem Buch „Purpose Driven Organizations. Sinn – Selbstorganisation – Agilität“, dass Purpose für mehr Leistung sorgt. Warum ist das so? Worin liegt der wesentliche Wandlungsschritt, den die entsprechenden Organisationen gegangen sind?"
Franziska Fink: "Dieses Plus an Performance ist eine erfreuliche Nebenwirkung, die von den Organisationen nicht intendiert war. Die Studien zeigen, dass Purpose Driven Organizations deutlich leistungsfähiger sind, als Peers in derselben Branche, die Purpose nicht zur Steuerung nutzen. Das betrifft das Geschäftsergebnis, das Wachstum, die Mitarbeitendenbindung, die Kund*innenbindung, die Partner*innenbeziehungen, die Krisenresilienz und die Innovationskraft. Nebenwirkung nenne ich es, weil Purpose ja nicht als Mittel zum Zweck für mehr Performance eingeführt wurde. Die Organisationen haben den Weg mit Purpose gewählt, weil sie an einer Stelle anstanden, z.B. mit der Strategie nicht weitergekommen sind, weil es keine übergeordnete Ausrichtung gab, oder weil sie in einer akuten Krise die Entscheidung wo harte Schnitte gemacht werden sollen von einem höheren Horizont ableiten wollten. Andere Unternehmen müssen Strukturen an den sich ändernden Markt anpassen, oder sie kämpfen mit hoher Fluktuation, oder sie fragen in einem Merger nach dem gemeinsamen Purpose, usw.
Der Wandlungsschritt der bei allen Unternehmen passiert, wenn sie Purpose zur Steuerung nutzen, dass sie ein hohes Maß an Klarheit schaffen, dass sie die Struktur agil an die Bedarfe anpassen, dass sie Personalprozesse am Purpose ausrichten und dass sie dadurch in die Lage kommen, Chancen aufzugreifen und Neues zu erproben. Langfristig vertiefen sich dadurch die Beziehungen zu allen Stakeholdern."
"Was auf diesem Weg fällt den betreffenden Organisationen im Durchschnitt am schwersten?"
Franziska Fink: "Das Dranbleiben! Wenn die Entscheidung für die Arbeit mit Purpose getroffen ist, dann fällt die erste Phase leicht – wie formulieren wir unseren Purpose? Wie bringen wir alle damit in Verbindung? Hier entsteht viel Energie. Allerdings ist das eben nur der Anfang. Es reicht ja nicht, dass ich einen Purpose formuliere. Spannend wird es jetzt, wenn wir beginnen, den Purpose auf Entscheidungsprogramme, Strukturen und Prozesse und auf‘s Thema Personal anwenden. Und da es sich bei Purpose ja nicht um ein Projekt handelt, sondern um eine Form der Steuerung, hört es eben nie auf. Auch die Purpose Driven Organization achtet immer darauf, wie sie den Purpose langfristig in der Aufmerksamkeit hält – was sind kleine Rituale – zum Beispiel zum Ende jedes Meetings die kurze Check-out Frage reihum „Auf einer Skala von 1-10, wie gut hat dieses Meeting unserem Purpose gedient?“."
"Was denkst Du, wovon profitieren die sich verändernden Organisationen auf ihrer Reise, im Wandlungsprozess, ganz besonders?"
Franziska Fink: "Der Weg ist ja in Wirklichkeit ein Dialogprozess, in den möglichst viele mit einbezogen werden. Dadurch entsteht viel Klarheit in der Organisation: Was wollen wir bewirken? Was nicht? Wie treffen wir Entscheidungen? Wie passen wir uns den verändernden Bedingungen an? Was brauchen wir dafür auf Personalseite? Welche Elemente unserer Kultur sind dafür hilfreich? usw.
Außerdem vertiefen sich die Beziehungen – Mitarbeitende stellen einen anderen Bezug zu ihrem Unternehmen her: Warum bin ich hier? Was ist mein Beitrag? Führungskräfte schärfen ihre Rolle, aber auch Partner*innen können auf dem Weg zu Purpose Drive miteinbezogen werden und so vertieft sich auch hier die Bindung an die Organisation. Dadurch gewinnen Organisationen Krisenresilienz. Eine Studie zur Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass Purpose Driven Organizations sich deutlich rascher von dem Abschwung erholt haben – warum? Wegen ihrer starken Beziehungen."
"Freestyle zum Schluss: Metamorphose und Purpose Driven Organizations. Was haben wir Dich noch nicht gefragt und sollte unbedingt von Dir beantwortet werden?"
Franziska Fink: "Das Wort Metamorphose gefällt mir und hat mich zum Nachschlagen angeregt: „Die Wandlung in einen anderen Zustand“, z.B. vom Ei zur Kaulquappe zum Frosch. Ich freue mich schon Euren Newsletter dazu zu lesen. Ob und wie Purpose Driven Organizations von der Kaulquappe zum Frosch werden, darüber werde ich noch länger nachdenken. Hier geht es ja nicht um Transformation um der Transformation willen. Es geht eher um Schaffung von Klarheit und Ausrichtung der Entscheidungsprämissen an diesem übergeordneten Why. Manche Purpose Unternehmen werden dadurch wirklich zu etwas anderem, andere bleiben bei dem, was sie tun. Aber was Purpose Driven Organizations bewirken, wenn sie zusammenarbeiten, wenn sich Business Ökosysteme um ein gemeinsames Why bilden oder wenn wir es irgendwann nur noch mit Purpose Driven Organizations zu tun haben – da entsteht dann wirklich ein schillernder Froschteich, der vermag einen wichtigen Beitrag für unsere Zukunft zu leisten."
Liebe Franziska, vielen Dank für den Froschteich und alles davor!
Die Bücher von Franziska Fink findet Ihr hier:
Buch Playbook Purpose Driven Organizations | Neuwaldegg.at
Buch Purpose Driven Organizations | Neuwaldegg.at