Lange ist über Home Office im Rahmen der flexibilisierten Zusammenarbeit diskutiert worden, hat aber eigentlich nie wirklich den Durchbruch geschafft. Zu groß waren die Bedenken und schienen die Probleme. Erst im Rahmen der Krise hat sich Remote Work rasant entwickelt und wird in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein.
Die Gespräche mit unseren Kunden zeigen: Herausforderungen bestehen weiterhin, zum Teil die gleichen, zum Teil neue.
Unsere Kunden berichten zumeist von fehlender informeller Kommunikation, von fehlender Sichtbarkeit der Leistungserbringung und der beteiligten Personen und auch von der Unsicherheit bezüglich einer passenden Organisiertheit. Remote Work ist da – und damit neue Herausforderungen für Führungskräfte.
Wie gehen wir damit um? 2020 haben wir noch gedacht, wir müssen die Krise irgendwie überstehen. Inzwischen drängt sich die Erkenntnis auf: Es macht Sinn, sich neu, sich anders aufzustellen – Strukturen und Prozesse zu entwickeln, die uns eine flexible Zusammenarbeit ermöglichen, die für die Zukunft sowohl virtuelle Zusammenarbeit als auch Präsenzarbeit beinhalten.
Das erfordert natürlich Veränderung. Im Moment hören wir noch häufig den Satz: „ Mein Chef legt Wert auf Präsenz!“. Das ist zwar eine nachvollziehbare Aussage, aber in der jetzigen Situation erstens wenig hilfreich, noch wird sie der aktuellen Führungsaufgabe gerecht. An dieser Stelle zeigt sich das Dilemma. Wir sind mittendrin in einem Veränderungsprozess, allerdings mit einer besonderen Schwierigkeit. In den meisten Veränderungsprozessen kennen wir den angestrebten Zielzustand: Aus A soll B werden. In der aktuellen Situation kennen wir das B in den allermeisten Fällen noch nicht.
Dabei überschlagen sich die Ereignisse: Die Bundesregierung beschließt unter Inkaufnahme rechtlicher Unsicherheit eine „Homeofficepflicht“, einzelne Unternehmen reduzieren schon ihre Büroflächen, andere nutzen ihre Homeofficemöglichkeiten bewusst nicht und der Lockdownstress lässt uns die Vergangenheit herbeisehnen.
Wir (und damit meine ich auch und explizit die Führungskräfte) stehen jetzt vor der Herausforderung zu entscheiden: Versuchen wir diese Phase zu überbrücken, irgendwie zu überstehen oder betrachten wir die Zeit jetzt als Beginn eines kulturellen Veränderungsprozesses - von der Präsenzkultur zu einer Blended Kultur des vernetzen Arbeitens.
Auch wenn es in der Vergangenheit schon viele Teams gab, die erfolgreich virtuell, oft international zusammengearbeitet haben, so sind doch die meisten Teil von Organisationen mit Präsenzkultur.
Das Wesen von Kultur ist es, dass Festlegungen, implizite Regeln und Glaubensätze vieles regeln, was ungeregelt ist. Sie manifestiert das, was das organisationale Gedächtnis als erfolgreich oder nützlich abgespeichert hat (und auch das Gegenteil davon).
Die Präsenzkultur beantwortet einige wichtige Fragen vielleicht nicht immer zufriedenstellend, aber immerhin gibt es eine Antwort. Zum Beispiel: Wie stellen wir sicher, dass Menschen arbeiten? In Präsenz zunächst mal durch Anwesenheit, durch physische (kurzfristige) Verfügbarkeit, durch Teilnahme an Meetings, durch Abgleich des Arbeitsvolumen und Stresslevels während, vor und nach dem Meeting. Man kann förmlich fühlen, wie beaufschlagt jemand ist.
Eine weitere Frage die Präsenzkultur zu klären hilft: Wie kommen wir zu guten, richtigen Entscheidungen? Je nach Fragestellung und Wichtigkeit haben wir als Mitarbeitende und Führungskräfte verschiedene Möglichkeiten von Anweisen bis Delegieren, von Micromanagement bis zur vollen Verantwortungsübertragung. Als Führungskräfte und auch Teammitglieder haben wir Routinen entwickelt, die unsere persönlichen Präferenzen, Sozialisierung und Glaubenssätze berücksichtigen. Performancemanagement wird durch Nähe und durch mehr oder weniger Kontrolle gemanagt und manchmal auch einfach durch zufälliges Anwesend sein und Intervenieren oder wie es meine Kollegin @PetraPeres nennt durch “Leadership by Accident“
Die informelle Kommunikation hilft uns in Organisationen, die aktuell wichtigsten Themen zu entwickeln, ein Gefühl dafür zu bekommen, was gerade dran ist. In Seitengesprächen werden nicht selten wichtige Entscheidungen getroffen, Probleme auf dem kleinen Dienstweg gelöst oder kreative Impulse gesetzt und Ideen entwickelt
Als Führungskraft kann ich mich an der Stelle des Systems platzieren, die mir sinnvoll erscheint. Alle Menschen tun das bewusst oder unterbewusst.
Was bisher als „ gute Führung“ beschrieben wurde, beinhaltete eine bewusste Wahl, an welcher Stelle des Systems ich mich wie, mit welchen Tools zur Unterstützung meiner Mitarbeiter positioniere. In einer Präsenzkultur nehmen „gute Führungskräfte“ wahr, sie beobachten, hinterfragen sich und andere und ihre Prozesse. Mit anderen Worten: sie reflektieren ihre Beobachtungen. Im Remote-Work-Modus sind diese Beobachtungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Eine der spannesten Fragen, die sich jetzt wieder ganz nach vorne schiebt, haben wir in unseren Organisationen nicht wirklich beantwortet: Sind Menschen eigentlich grundsätzlich intrinsisch motiviert oder sind sie faul und arbeitsscheu und brauchen externe Anreize, um performant zu sein (Bonus, Kontrolle, Performancedialog…)? Wahrscheinlich werden wir diese Frage nie endgültig beantworten, aber unsere Grundhaltung sollten wir kritisch hinterfragen, wenn wir eine zukunftsgerichtete Organisiertheit entwickeln wollen.
Eine Blended Kultur sollte in der Lage sein, flexibel die Anteile von virtueller Zusammenarbeit und Präsenzarbeit zu bedienen (wer weiß, was als nächstes kommt…).
Vorausgesetzt wir haben die Infrastrukturherausforderungen nachhaltig gelöst, gibt es für die zielorientierte Entwicklung einer Blended Kultur drei Herausforderungen.
Kommunikationssystem: In den meisten Organisationen sind die drei Elemente Email, eins-zu-eins-Gespräche (geplant oder „ich gehe mal kurz rüber“) und Teammeetings immer noch die Kommunikationsmittel der Wahl. In einem Remote set up stößt man damit schnell an Grenzen.
Selbstorganisation: Für remote work braucht es einerseits für jede und jeden einzelnen mehr Freiraum und Möglichkeit, selbst zu entscheiden, inhaltlich, aber auch wann was gemacht wird. Andererseits braucht es Zusammenarbeitsregeln für Verfügbarkeit, Aufgabenauswahl, Dokumentation, Zeit für konzentriertes Arbeiten und Zusammenarbeitszeit. Wenn man genau hinschaut wird man feststellen, dass striktere Regeln im Vergleich zur Präsenzkultur benötigt werden.
Wenn wir diese drei Herausforderungen annehmen und erfolgreich meistern wollen, wird schnell deutlich, dass es hierbei nicht nur um die Frage von neuen Tools und Prozessen geht, sondern in erster Linie um die Entwicklung des eigenen Mindsets und dem Hinterfragen der eigenen Annahmen.
Und damit wären wir wieder bei der Eingangshypothese - Home Office ist kein New Work. Nur weil wir uns irgendwie neu organisieren, bedeutet das nicht, dass wir eine neue Organisiertheit geschaffen haben, die uns anders und besser zusammenarbeiten lässt. Das was wir möglicherweise unter New Work, agilem Arbeiten oder - wie wir es nennen - NextOrganisation verstehen bedingt, dass die drei Herausforderungen bewältigt sind. Wie ein Brennglas zeigen uns diese die To- Do’s für die Weiterentwicklung unsere Zusammenarbeit. Wie man ihnen möglicherweise konkret begegnen kann, werde ich im nächsten Artikel beschreiben und möchte die Erfahrungen der Organisationen teilen, die ich zu diesem Thema begleiten durfte.