Wie ist das eigentlich so, der Berufseinstieg in der Unternehmensberatung? Und dann auch noch zu Corona Zeiten? Paolina gibt Einblicke in ihre ersten Wochen bei Process One und schreibt in diesem Artikel ungeschönt über ihre Learnings und Fuck-Ups, die ihr auf ihrem Weg begegnen.
15. April 2020, 07:30 Uhr
Der Wecker klingelt, ich bin aber schon davor wach. Der Grund: Heute ist der erste Arbeitstag von meinem ersten richtigen Job, nachdem ich vor ein paar Monaten mein Studium beendet habe. Eigentlich eine große Sache, die sich aber in Zeiten von Corona nicht so groß anfühlt. Warum? Weil mein erster Arbeitstag nicht aus vielen Kennenlerngesprächen im neuen Büro unter neuen Kolleginnen und Kollegen besteht, sondern weil ich zuhause bin. Rein theoretisch hätte ich heute Morgen meine Schlafanzughose anlassen können. Habe ich aber nicht, die Angst war zu groß, dass jemand im Videomeeting aus irgendeinem Grund sagt „Steh doch mal auf, Paolina“. Aber wieso auch chic machen, wenn die Kolleginnen und Kollegen sowieso sofort Blick ins mehr oder weniger aufgeräumte Arbeitszimmer haben, in dem ich fünf Minuten vor der ersten Videokonferenz noch schnell den Basketball meines Freundes aus dem Bild rolle. Mein erster Job beginnt also mitten in Corona Zeiten, dort wo ich seit drei Wochen sowieso schon bin: zuhause. Für viele klingt das wahrscheinlich durchaus entspannt und sie verstehen gar nicht was daran schlimm sein sollte. Nun, schlimm ist es natürlich auch nicht, trotzdem habe ich mir meinen Einstieg in die große, weite Welt der Unternehmensberatung anders vorgestellt. Ich habe mich mit meiner BahnCard100 quer durch Deutschland touren sehen, stelle mir vor, wie ich viele spannende Kunden kennenlerne, dort irgendwann selbst Verantwortung übernehme und mit meinen Kolleginnen und Kollegen das ein oder andere Feierabendbier genieße. Die Wahrheit im April 2020: die BahnCard100 lohnt sich nicht (mehr), statt Kundenterminen ist meine erste Aufgabe eine Recherche über Pricingmodelle für Online-Formate zu betreiben und das Feierabendbier wird durch ein virtuelles Lagerfeuer ersetzt (zugegebenermaßen nicht schlecht). Wohl oder übel muss ich mir eingestehen, dass mein Start etwas anders ablaufen wird als erwartet. Wobei ich froh und dankbar bin, dass es überhaupt einen Start gibt, denn ganz sicher war ich mir in den Wochen bevor ich anfangen sollte nicht. Überall werden gerade Einstellungsprozesse eingefroren, Menschen werden Jobs abgesagt, für die sie schon eine Zusage bekommen haben und ich soll gegensätzlich zu diesem Trend wirklich anfangen? Ja, soll ich, zwar zwei Wochen später, aber ich soll, sagt mir meine neue Kollegin Petra Mitte März am Telefon und mir fällt ein großer Stein vom Herzen.
Mein erster Arbeitstag findet also wider Erwarten nicht in einem chicen Office oder einem hippen Meetingraum statt, sondern in meinem Zuhause in Hamburg. Na schön. Es ist kurz vor 9 Uhr und ich wähle mich in das Videomeeting ein, die Technik habe ich vorher ca. 13-mal getestet, da ich am ersten Tag natürlich nicht zu spät sein möchte. Deshalb bin ich ein paar Minuten früher im Meeting und werde von freudigen und lächelnden Gesichtern begeistert begrüßt. „Gute Stimmung hier trotz Corona“ denke ich noch und dann geht auch schon der Smalltalk los.
„Wo kommt eigentlich dein Name her? Portugal?“
„Nein, der ist italienisch.“
„Ach so, aber aufgewachsen bist du in Deutschland?“
„Ja geboren und aufgewachsen in Erlangen bei Nürnberg und jetzt wohne ich in Hamburg.“
„Ach Hamburg, tolle Stadt, ich war letztes Jahr mit meiner Familie dort und wir waren natürlich im Hafen und haben Fischbrötchen gegessen und haben uns König der…“
Der Moderator beginnt das Meeting und nach einer ersten Vorstellungsrunde geht es dann auch schnell um ernstere Themen. Liquiditätsplanung, Projekte, die wegen Corona auf on hold sind und weitere Kunden, die abgesagt haben. Die gute Stimmung zu Beginn ist bald wie weggeblasen und ich schaue in viele trübe und ratlose Gesichter. Etwas, wie ich merke, dass man sich für den ersten Arbeitstag nicht wünscht, denn ich weiß nun über Worst-Case Ebits Bescheid und fühle mich wie eine zusätzliche Belastung für alle – sowohl finanziell als auch zeitlich. „Wer hat denn jetzt einen Kopf mich einzuarbeiten?“ frage ich mich. Und wie soll diese Einarbeitung aussehen, wenn weit und breit keine Veranstaltung geplant ist? Mit diesen Gedanken verabschiede ich mich mit einem tapferen Lächeln und gebe meiner Kollegin Petra im Stillen recht: Während Corona in einem Unternehmen anzufangen, das nicht unbedingt zu den Gewinnern der Krise gehört, ist wie eine OP am offenen Herzen – nur zusätzlich noch ohne Narkose.
Juni 2020
Mittlerweile sind einige Wochen vergangen, das Schweißlevel meiner Hände ist zum Normalzustand zurückgekehrt (meistens jedenfalls) und ich leite aus schlechten Nachrichten in Meetings (wie z.B. weitere Kundenabsagen) nicht mehr automatisch Konsequenzen, die mit der Zukunft meines Beschäftigungsverhältnisses zu tun haben, ab. Im Gegenteil: ich merke, dass die Transparenz und Offenheit, die meine Kolleginnen und Kollegen an den Tag legen, Vertrauen schafft und dieses bei mir dazu führt, dass ich mich sicher und gleichberechtigt fühle.
Mir wird jedoch schmerzlich bewusst wie viel Selbstorganisation ein wochenlanges Home-Office erfordert. Die Verlockung ist groß vom Schreibtisch auf die Couch oder von der Jeans in die Jogginghose zu wechseln, produktiv ist man dann allerdings nicht mehr. „Selbstorganisation braucht Zeit“, versuche ich mir einzureden, mit dem kleinen Teufel auf der Schulter der mir zuflüstert, dass diese nicht nur jetzt im Dauer-Home-Office eine Rolle spielt, sondern im Job als Beraterin (ohne zentralem Büro) unabdingbar ist. Einen richtig routinierten Tagesablauf habe ich bisher nicht, wobei ich mir auch nicht sicher bin, ob ich diesen jemals haben werde. Das hat meiner Meinung auch nur bedingt mit Organisiertheit oder Ähnlichem zu tun, sondern liegt schlicht und einfach an der Abwechslung und Vielfältigkeit, die dieser Job mit sich bringt. „Kunde geht vor“ ist ein Satz, den ich mittlerweile schon häufig gehört habe und der dazu führt, dass die ein oder andere fein geplante Tagesstruktur manchmal über den Haufen geschmissen wird. „Genau das ist es aber was ich an diesem Beruf so reizvoll finde“, denke ich in solchen Momenten – kein Tag läuft gleich ab, keine langweilige Routine kann aufkommen. Wenn ich das Gefühl jetzt schon habe, während ich zuhause sitze und darauf warte mit meiner BahnCard100 zum ersten Kunden zu fahren, wie ist das wohl erst wenn alles wieder etwas gewohnter seinen Gang geht? Oder wird es das Gewohnte und das Altbekannte in einer Post-Corona Welt gar nicht mehr geben? Wichtige Fragen auf die auch meine Kolleginnen und Kollegen keine Antwort haben. Ein schöner Nebeneffekt den Corona mit sich gebracht hat ist, dass sich das gesamte Team häufiger in Videomeetings zu sehen bekommt – eine Tatsache, wie ich erfahre, die es so vorher noch nicht gab. Es wurde sich zwar zweiwöchig am Freitag getroffen, ansonsten war der Kontakt jedoch aufgrund des vielen Reisens und dem „beim Kunden etwas tun“ meistens auf vor 8 bzw. nach 18 Uhr beschränkt. Corona hat bei Process One die Aktuelle Stunde etabliert, die einmal pro Woche stattfindet und das zweiwöchige Freitagsmeeting zu einem Sprint gemacht, in dem die kommende Woche geplant wird. In diesen Meetings wird mir schnell klar: hier sitzen zahlreiche unterschiedliche Charaktere, die alle anders arbeiten und sich in verschiedenen privaten Umgebungen befinden. Nichtsdestotrotz (oder vielleicht auch gerade deshalb?) ist der Freitagssprint geprägt von einer produktiven und fleißigen Atmosphäre in dem zwar ab und zu das Gefühl des virtuellen Lagerkollers bemerkbar wird, in dem aber auch sehr viel gescherzt und gelacht wird. Mir wird bewusst, wie gut sich meine Kolleginnen und Kollegen nach teilweise bis zu 20jährger Zusammenarbeit untereinander kennen müssen und in was für eine eingeschworene Gemeinschaft ich aufgenommen wurde. Das Schöne für mich daran ist, dass mich diese Erkenntnis nicht in Panik geraten lässt sondern, dass ich mich umso mehr freue ein Teil dessen geworden und das Gefühl habe im richtigen Unternehmen angekommen zu sein. Nach ein paar Wochen Zugehörigkeit beschleicht mich außerdem das Gefühl, dass es für mich fast nicht besser hätte laufen können, als genau in dieser ungewöhnlichen Phase bei Process One einzusteigen. Vieles ist im Umbruch, ich kann Themen mitdenken, von denen gerade sowieso noch niemand eine Ahnung von hat, weil alles neu ist und vor allem kann ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, wenn auch virtuell, Zeit verbringen, da sie nicht in der Weltgeschichte herumfahren. Ich merke, wie mir immer wieder in den Kopf kommt: „Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, dass du nicht mitten im busy Tagesgeschäft angefangen hast, wo dich keiner auf dem Schirm gehabt hätte“. Berufseinstieg während der Corona Zeit als das Beste was mir passieren konnte? Klingt vielleicht schräg, aber ist für mich gar nicht mehr so abwegig zu denken.